Menschen, Natur und Tiere in der Krise Über die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Kritik der Tierausbeutung

Als Flyer

Bankenrettung, soziale Kürzungen, Entdemokratisierung. Die Maßnahmen zur Überwindung der globalen Wirtschaftskrise sind der Versuch, den Zusammenbruch der kapitalistischen Ökonomie abzuwenden. Doch es gibt keinen Grund, ein Wirtschaftssystem zu retten, welches weder gewillt noch in der Lage ist, Antworten auf die sozialen und ökologischen Katastrophen unserer Zeit zu finden. Aber nicht nur die Ausbeutung von Menschen und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sind Ausdruck der destruktiven Gewalt kapitalistischer Vergesellschaftung. Auch die in unserer Gesellschaft allgegenwärtige Gefangenhaltung von Tieren, deren gnadenlose Ausbeutung und die niemals enden wollenden Schlachtungen sind untrennbar mit einer Wirtschaftsweise verbunden, die nur auf Verwertung und Profit ausgerichtet ist. Nicht die Rettung, sondern die Überwindung des Kapitalismus ist die notwendige Konsequenz, um diesem Elend ein Ende zu setzen.

Der Kapitalismus ist nicht mehr zu retten!

Die kapitalistische Ökonomie bröckelt. Was gegenwärtig als „Staatsschuldenkrise“ in Erscheinung tritt, ist tatsächlich eine handfeste globale Wirtschaftskrise, die ihren Ausgangspunkt in der Immobilien- und Finanzkrise nahm. Die Maßnahmen zu ihrer Überwindung richten sich nicht auf die sogenannte Rettung nationalstaatlicher Ökonomien, sondern sind der Versuch, das Zusammenbrechen der kapitalistischen Wirtschaft selbst zu verhindern. Mit hunderten Milliarden Euro wurden Banken und Konzerne gestützt und einer Vielzahl von Staaten wurden massive Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen durch die Troika aus EU, IWF und EZB aufgezwungen. Eine Verelendung breiter Bevölkerungsschichten wird wohlwissentlich in Kauf genommen, um „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Kreditfähigkeit“ herzustellen, was nichts anderes bedeutet, als die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Es gibt jedoch keinen vernünftigen Grund, einem Wirtschaftssystem als Retter_in zur Seite zu springen, das tagtäglich Elend produziert und die Bedürfnisse von Menschen und Tieren hinter ihren „Wert“ zurücktreten lässt.

Die selbst ernannten Retter_innen des Kapitalismus haben bewiesen, dass sie gewillt sind, die herrschenden Verhältnisse bis aufs Messer zu verteidigen. Die sozialen Angriffe in Form von Lohnkürzungen, Privatisierungen und Spardiktaten zielen allen voran auf die Absicherung wirtschaftlicher Interessen und die Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche. Flankiert werden diese Maßnahmen durch den Abbau von Arbeitnehmer_innenrechten, den Ausbau des Sicherheitsapparats und die Militarisierung der Außenpolitik, um jede Form des Widerstands bereits im Keim zu ersticken. Diese Politik unterwirft alle gesellschaftlichen Verhältnisse dem Diktat der Profitmaximierung, die das Gewaltverhältnis zwischen Menschen und Tieren zementiert.

Fukushima, Klimawandel, industrieller Tiermord:

Naturbeherrschung im Kapitalismus

Tiere sowie die Natur im Allgemeinen sind in der kapitalistischen Wirtschaft lediglich Waren, Produktionsmittel oder Ressourcen, die es auszubeuten gilt. Die Beherrschung der Natur begründet dabei die menschliche Gesellschaft: Da die Menschen produzieren müssen, um sich zu reproduzieren, müssen sie auch seit jeher die Natur umgestalten und nutzen. Die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise hat jedoch eine fatale Dynamik entfaltet, die destruktiv und – im Hinblick auf die allgegenwärtige Gewalt gegen Tiere – geradezu mörderisch ist. Denn die kapitalistische Ökonomie beinhaltet nicht nur den Zwang zur Konkurrenz sondern auch zur permanenten Expansion in Form fortschreitender Inwertsetzung natürlicher Lebensgrundlagen.

Das ungebremste Wachstum hat daher neben sozialen auch notwendigerweise ökologische Krisen zur Folge. Fukushima, die globalen Folgen des Klimawandels oder die industrialisierte Tötung von Tieren stehen exemplarisch für die verheerenden Folgen kapitalistischer Naturaneignung. Die Kritik an der systematischen Zerstörung der Natur findet ihren Ausdruck in den sozialen Kämpfen der Ökologiebewegung, z.B. gegen Kohlekraftwerke oder die Gentechnik. Aber auch die Protestbewegungen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung oder gegen Landgrabbing kämpfen für eine kollektive, bedürfnisorientierte und nachhaltige Nutzung der Natur und gegen die profitorientierte Zerstörungswut des Kapitals.

Die Zerstörung der Natur und mit ihr die Zerstörung der Grundlagen menschlicher Gesellschaft sind unmittelbare Folgen von Produktionsverhältnissen, die nicht der Befriedigung von Bedürfnissen dienen, sondern den Notwendigkeiten fortschreitender Kapitalakkumulation folgen. Dass den Prozessen der kapitalistischen Naturaneignung kein Prinzip der Nachhaltigkeit, Schonung oder Vorsicht inne liegt, ist nicht etwa Resultat „naturfeindlicher Einstellungen“ sondern logische Konsequenz aus der Inwertsetzung der Natur.

Mastanlagen, Versuchslabore, Schlachthöfe:

Tiere als Opfer kapitalistischer Naturbeherrschung

Tiere sind die primären Opfer der Naturbeherrschung, da sie – der Natur zugedacht – milliardenfach eingesperrt und ermordet werden, um ihre Arbeitskraft auszubeuten und Teile ihrer toten Körper als Waren zu tauschen. Tiere werden systematisch Opfer gesellschaftlich organisierter Gewalt. Ihre Körper erleiden massenhafte Verletzungen – etwa im Schlachthof, Versuchslabor oder in der Mastanlage. Eine befreite Gesellschaft, die es ernst meint mit der Überwindung aller Verhältnisse, die Knechtschaft und Ausbeutung bedingen, darf die Tiere nicht ignorieren. Jedes Opfer gesellschaftlich vermittelter Gewalt ist illegitim. Gemessen am derzeitigen Stand der Produktivkräfte, das heißt in Anbetracht des technisch und gesellschaftlich Möglichen, gibt es keine Notwendigkeit der Gewalt gegen Tiere.

Die Ausbeutung der Tiere wird dabei durch eine komplexe Ideologie legitimiert und gestützt, für die sich mittlerweile der Begriff Speziesismus etabliert hat. Gemeint ist ein Denken über Tiere, das aus der vermeintlichen Notwendigkeit ihrer Ausbeutung resultiert. Als insofern falsches Bewusstsein über Tiere trägt Speziesismus dazu bei, die Ausbeutung der Tiere als unveränderlich und natürlich zu verfestigen und dabei den Prozess der historischen Entwicklung und der gesellschaftlichen Herstellung der Ausbeutung zu verschleiern. Diese Verschleierung der menschlichen Herrschaft über Tiere drückt sich auf unterschiedlichste Weise aus: Etwa vom Ausspruch „Es war schon immer so – es lässt sich nicht ändern“, über die Trivialisierung der Gewalt an Tieren und die Banalisierung der Kritik an Tierausbeutung, bis hin zu Versuchen, Tieren Bewusstsein, Leidensfähigkeit und Individualität abzusprechen. Der Vorstellung, Tiere seien für Menschen legitimerweise nutzbar, muss mit einer Kritik begegnet werden, die die Mythen der Tierausbeutung widerlegt. Tiere sind nicht für den Menschen „geschaffen“ worden, er hat sich ihre Körper und ihre Arbeitskraft gewaltsam angeeignet! Tiere können nicht „artgerecht“ gehalten werden, jede Form ihrer Ausbeutung – ob in der Massentierhaltung oder auf dem Bio-Bauernhof – ist gegen die Bedürfnisse und Interessen von Tieren gerichtet. Der Sinn tierlichen Lebens ist nicht, auf dem Teller zu landen! Tiere sind nicht etwas, sie sind jemand! Das gegenwärtige Mensch-Tier-Verhältnis ist Resultat menschlichen Handelns und geschichtlich geworden. Daher kann es auch vom Menschen überwunden werden!

Dass Tiere nicht als Opfer gesellschaftlicher Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse anerkannt werden zementiert ihre katastrophale Situation. Weitgehend unbeachtet vollzieht sich daher ein System industrieller und institutionalisierter Ermordung von Tieren. Der Schlachthof kann als Ort der Verwirklichung kapitalistischer Produktionsprinzipien verstanden werden. Unter enormem Zeitdruck sterben dort im Sekundentakt Tiere, die zuvor auf maximales Körpergewicht gezüchtet wurden. Technisch durchrationalisiert werden die tierlichen Körper zerlegt und verarbeitet. Kein noch so kleiner Körperfetzen wird der Kapitalerwirtschaftung entzogen. Die Fleischindustrie ist „big business“ und geht dafür über Leichen. Und auch auf der menschlichen Seite der Produktion stehen Opfer des Kapitalismus: Für einen Billiglohn schuften die Schlachthofarbeiter_innen unter prekären Bedingungen und unter ständiger Bedrohung ihrer Gesundheit. Dies verdeutlicht, wie sehr unter der Herrschaft des Kapitals Menschen und Tiere notwendigerweise zu Opfern ausbeuterischer Verhältnisse werden.

Kapitalismus und Tierausbeutung ein Ende setzen:

Gemeinsam gegen die herrschenden Verhältnisse

Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse nach anderen Prinzipien als bloßer Profitmaximierung ausgerichtet werden sollen, ist die tatsächliche Teilhabe der Menschen an allen sie betreffenden Lebensbereichen eine notwendige Voraussetzung. Die Überwindung ökonomischer Abhängigkeitsverhältnisse ist die Grundlage partizipativ-demokratischer Aushandlungsprozesse, in denen sowohl die Bedürfnisse von Menschen als auch von Tieren eine Berücksichtigung finden können. Die durch das Krisenregime beförderte autoritäre Politik in Europa ist jedoch das konkrete Gegenteil einer solchen, freieren Gesellschaft. Daher ist es nicht nur notwendig, aktiven Widerstand gegen die weltweiten Entdemokratisierungsprozesse zu leisten, sondern auch dafür zu kämpfen, sich die Kontrolle über zentrale Lebensbereiche wieder anzueignen.

Die sofortige Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien wie der Finanzindustrie, dem Energiesektor, dem Wohnungsbau und nicht zuletzt der Lebensmittelproduktion ist eine Notwendigkeit, um der blinden Zerstörungswut kapitalistischer Verwertungsinteressen Einhalt zu gebieten. Die Enteignung von Agrarkonzernen kann einen ersten Schritt darstellen, um auch im Bereich der Produktion und Verteilung von Lebensmitteln eine Ordnung zu überwinden, in der Eigentumsrechte und die Profitinteressen von Konzernen mehr gelten als soziale und ökologische Gerechtigkeit. Es gibt kein Recht auf Profit – erst recht nicht, wenn er mittels rein destruktiver Technologien und Anbauweisen Menschen an Hunger verenden und Tiere im Schlachthof sterben lässt. Nicht die privatwirtschaftliche Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums durch Konzerne, sondern die Beteiligung der Menschen an tatsächlich demokratisch organisierten Entscheidungsprozessen ist der richtige Weg, um der täglichen Barbarei des Kapitalismus ein Ende zu setzen.

Auch die Ausbeutung der Tiere ist Teil dieser barbarischen Verhältnisse. Kritik an Tierausbeutung darf sich jedoch nicht lediglich auf bestimmte Formen oder Bereiche der Gewalt an Tieren beschränken. Im Mittelpunkt der Kritik muss die Gewalt als solche stehen, denn es gibt keine Nutzung von Tieren ohne Gewalt an Tieren, es gibt keine „bessere“ und „schlechtere“ Gewalt. Wer sich ernsthaft und praktisch gegen die Ausbeutung der Tiere zur Wehr setzen will, darf sie nicht weiter als Mittel der eigenen Zwecke behandeln. Wer Solidarität mit Tieren praktizieren will, muss vegan leben, denn Gewalt an Tieren ist keine Privatangelegenheit! Natürlich können Tiere auch in einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft weiter Gewalt erfahren. Aber nur eine solche Gesellschaft bietet überhaupt die Grundlage, das gesellschaftliche Projekt der Befreiung der Tiere zu realisieren.

Klar ist: die Überwindung des Kapitalismus kann nicht von einzelnen politischen Bewegungen allein erreicht werden. Soziale Kämpfe können nur dann Erfolg haben, wenn sie nicht auf einzelne Themenfelder beschränkt bleiben, sondern darauf zielen, den verschiedenen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen die gemeinsame ökonomische Basis zu entziehen. Der gemeinsame Widerstand gegen Prozesse der Entdemokratisierung sowie die Wiederaneignung und Vergesellschaftung zentraler Lebensbereiche stellt für verschiedene politische Bewegungen eine konkrete Perspektive dar, die organisatorische Vereinzelung zu überwinden und gemeinsame Strategien und Ziele zu verfolgen.

Verlieren wir daher keine Zeit und leisten entschiedenen Widerstand gegen die Versuche, eine Wirtschaftsweise zu retten, die nur auf Verwertung und nicht nach Bedürfnissen ausgerichtet ist. Denn jeder Tag, an dem Menschen geknechtet, Tiere auf die Schlachtbank geführt und die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden, ist barbarisch angesichts der Möglichkeiten im Hier und Jetzt: Die Schaffung einer Gesellschaft jenseits von Warenproduktion, Ausbeutung und Unterdrückung.

 

Kontakt: tierbefreiung-hh@riseup.net | Homepage: www.tierbefreiung-hamburg.org