Interview mit den Online-Portal Schattenblick

http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0006.html

INTERVIEW/006: Fortschrittsfluch Tierversuch – Bis in die letzte Konsequenz (SB)

Interview mit dem Tierrechtsaktivisten Tobias Kirchhoff am 29. Juni 2013 in Hamburg Neugraben

Um die 350 Aktivistinnen und Aktivisten protestierten am 29. Juni in Hamburg-Neugraben gegen das dort und im nahegelegenen Mienenbüttel ansässige Unternehmen LPT (Laboratory of Pharmacology and Toxicology). „Ein Tierversuchslabor ist ein eindeutiger Ort, ein Ort, an dem es keine offenen Fragen gibt, ein Ort, den man nur bejahen oder verneinen kann, da ein Tier nur ermordet oder am Leben bleiben kann.“ Mit Aussagen wie dieser aus einer Rede beim mehrstündigen Protest vor dem Hauptsitz des Unternehmens ließen die Tierversuchsgegnerinnen und -gegner keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, die damit gestartete Kampagne „LPT schliessen!“ zum erklärten Ziel zu führen. Darüber hinaus bezogen einige Aktivistinnen und Aktivisten gesellschaftskritische Positionen, in denen der fundamentale, letztlich alle Lebewesen betreffende Charakter ihres Kampfes um Befreiung anklang. Am Rande der Demonstration beantwortete der an der Kampagne beteiligte Aktivist Tobias Kirchhoff dem Schattenblick einige weiterführende Fragen zum Anliegen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung sowie ihrer Verortung in sozialen und linken Bewegungen.

Kampagnenlogo von der Webseite 'LPT schliessen!'Logo der von verschiedenen Tierrechtsgruppen und -organisationen getragenen Kampagne
Quelle: www.lpt-schliessen.org

Schattenblick: Tobias, kannst du erklären, wieso so wenig über die konkrete Arbeit des Unternehmens LPT mit Tierversuchen bekannt ist?

Tobias Kirchhoff: Anders als beispielsweise eine Aktiengesellschaft, die gegenüber ihren Aktionären verpflichtet ist, Geschäftsberichte zu veröffentlichen, macht das Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie (LPT) keinerlei Öffentlichkeitsarbeit. Das LPT schottet sich regelrecht ab und hat kein Interesse, Informationen an die Öffentlichkeit geraten zu lassen. Es gibt zwei Arten von Tierversuchen: die genehmigungspflichtigen und die anzeigepflichtigen. Die allermeisten Tierversuche sind anzeigepflichtig. Anzeigepflicht bedeutet, das LPT muß lediglich das Veterinäramt über seine Tierversuche informieren – das ist alles, was mitgeteilt werden muß. Zwar könnten Veterinärämter Informationen herausgeben, doch das Hamburger Veterinäramt hält sich damit sehr bedeckt. Eine befreundete Veterinärmedizinerin aus einem anderen Bundesland, die im Tierversuchsspektrum kritisch arbeitet, bestätigte uns, daß die Hamburger Veterinärbehörden sich in punkto Informationen sehr verschlossen geben.

Von LPT selbst haben wir keine Auskunft zu erwarten. Dennoch findet die eine oder andere Information ihren Weg nach draußen. Je mehr wir selbst über die Praktiken dieser Firma erfahren, desto besser können wir unseren Protest organisieren. Ich hatte im Redebeitrag versucht darzustellen, daß wir einen systemischen Ansatz haben. Unser Gegenüber, das wir kritisieren, ist ein ökonomischer Betrieb, der natürlich nicht auf Grundlage irgendwelcher Moralfragen operiert. Das Handlungsmuster des Laboratoriums wird von Profitinteressen gerahmt. Ein Unternehmen wie LPT ist auf Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen angewiesen. Hier wird seit einigen Jahren in der Tierrechtsbewegung der sehr wirkungsvolle Ansatz des sogenannten Campaigning verfolgt.

Es geht beispielsweise darum, Proteste auf die Unternehmen, die mit LPT zusammenarbeiten, auszuweiten. Manche Firmen liefern Käfige, andere die Tiere, wieder andere entsorgen die Tierkadaver, waschen die Wäsche der Labormitarbeiter oder liefern das Tierfutter an. Sowohl auf Kunden wie auf Lieferanten läßt sich so ökonomischer Druck ausüben. Man muß sich einfach klarmachen, daß der ökonomische Druck entscheidend ist. Die Mitarbeiter und die Betreiber des Labors wissen natürlich, welche Arbeit sie da machen. Sie sind ja nicht dumm, sondern gebildete Leute, viele von ihnen sind Akademiker. Die wissen ganz genau, was sie den Tieren antun. Sie werden sich jedoch nicht von uns überzeugen lassen, daß sie ihre Versuche einstellen, ebensowenig wie sie uns überzeugen könnten, Tierversuche als legitim zu erachten.

Die Kommunikation, die wir zu LPT aufbauen müssen, kann eben nur über ökonomischen und öffentlichen Druck gelingen. Dazu müssen wir erreichen, daß sich die Bevölkerung mit unseren Zielen identifizieren kann. So ist die Öffentlichkeitsarbeit vor Ort in der Region, also hier in Neugraben und auch in den umliegenden Dörfern von Mienenbüttel, wo sich das zweite Labor des Unternehmens befindet, sehr wichtig. Wir wollen erreichen, daß die Anwohner nicht mehr sagen können, daß sie nicht wissen, was hier passiert. Ich glaube auch, daß die meisten Leute, die hier noch nicht seit 20 Jahren wohnen, nichts von den ganz in ihrer Nähe stattfindenden Tierversuchen wissen.

Im Vorfeld der Auftaktdemonstration haben wir Mobilisierungsveranstaltungen durchgeführt, auch hier in der Region. Wir machten mit Flyern in den Briefkästen auf uns aufmerksam. Viele Anwohner erzählten uns, nichts vom LPT gewußt zu haben, und waren ganz schockiert. Wenn wir es schaffen, daß noch mehr Leute von den Tierversuchen erfahren, haben wir schon ein Ziel erreicht. In den nächsten Monaten werden wir unter anderem mit Vorträgen und Veranstaltungen an der Universität weitere Öffentlichkeitsarbeit machen. Darüber hinaus werden wir natürlich weiterhin intensiv Pressearbeit betreiben.

SB: Wie ist es um die rechtlichen Voraussetzungen der Tierversuche bestellt? Trotz der allgegenwärtigen Transparenzforderung werden sie in der Öffentlichkeit nicht gerade breit diskutiert.

TK: Transparenz ist ein gutes Stichwort. Wer Diskussionen um Transparenz kennt, weiß, daß der Begriff meist auf ideologische Weise verwendet wird und seine Auswirkungen sehr begrenzt sind. Im Tierschutzgesetz gibt es mehrere Paragraphen, die sich mit Tierversuchen befassen. Es geht dabei aber mehr um die institutionellen Rahmungen dieser Tierversuche, beispielsweise die Frage des Verbots von Versuchen an Menschenaffen oder die Unterscheidung von genehmigungs- und anzeigepflichtigen Versuchsreihen. Dann existieren verschiedene Verordnungen oder Verweise auf irgendwelche Zertifizierungen, die man erfüllen muß, um die Genehmigung zum Halten von Versuchstieren zu bekommen. So etwas wird dort gesetzlich geregelt. Nicht geregelt ist jedoch, inwiefern Transparenz hergestellt werden muß, weil es sich in aller Regel um Privatfirmen handelt. An Universitäten wird vermutlich anders verfahren, aber Pharmaunternehmen und Auftragslabors sind natürlich Privatunternehmen.

Die Grünen hatten im Landkreis Harburg eine Kleine Anfrage gestellt, einmal an das LAVES (Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) sowie an die Gemeine Neu Wulmstorf. Gefragt wurde unter anderem, wo die Tiere für die Labore herkommen, welche Versuche genau und in welchem Umfang an ihnen vollzogen werden und so weiter. Die Gemeinde hat mehrfach auf das LAVES verwiesen oder sich auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis berufen. Das LAVES wiederum war ziemlich wortkarg und hat auch mit dem Datenschutz argumentiert. Da hätte man nachhaken müssen, denn das halte ich für ein sehr fadenscheiniges Argument. Aber man merkt schon, auch auf so einer Ebene wird dann im Zweifelsfall gedeckelt. Und aus diesem Grund ist die Öffentlichkeit wichtig.

Wenn die Grünen eine Kleine Anfrage machen und mit einer ungenügenden Antwort abgebügelt werden, dann löst das keine große Empörung aus. Wenn man eine breitere Basis hat, dann kann man erreichen, daß so etwas nicht durchgeht und Behörden und Ämter Informationen über solche Themen herausgeben müssen.

SB: Könntest du das über die konkrete Verhinderung von Tierversuchen hinausgehende, allgemeinere Anliegen des Kampfes um Tierrechte und Tierbefreiung darstellen?

TK: Von uns hat niemand einen reinen TierversuchsgegnerInnen-Hintergrund, sondern wir kommen alle aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Für uns ist ein Protest gegen Tierversuche immer auch Teil einer allgemeinen Kritik an der Ausbeutung von Tieren, an der gesellschaftlich vermittelten Gewalt an Tieren. Genau dies soll bei unseren Aktionen deutlich werden. Von der reinen politischen Motivation her macht es keinen Unterschied, ob wir vor einem Schlachthof, vor einer Pelzfarm oder einem Zirkus demonstrieren. Genau dies tun die Gruppen, die die Kampagne organisieren, auch. Das ist wichtig zu betonen, weil es eine starke TierversuchsgegnerInnenbewegung gibt, die sonst mit Tieren im Tierrechtssinne nicht viel am Hut hat. Dies wollen wir ebenfalls verändern, weil wir nicht verstehen, warum beispielsweise Kaninchen im Versuchslabor viel Protest auslösen, nicht aber in Kaninchenschlachthöfen, die es auch gibt.

Wir sagen, es geht nicht darum, warum und wo welches Tier umgebracht wird, sondern daß überhaupt Tiere umgebracht werden. Es spielt keine Rolle, ob wir den toten Körper aufessen, an noch lebenden Körpern irgend etwas zu messen glauben, oder ob wir uns Kunststücke vorführen lassen. Die Kritik, die wir formulieren, ist nicht partikular, sie unterliegt nicht der Bewertung nach Tiersorten und Verhältnissen, sondern richtet sich grundsätzlich gegen die Stellung der Tiere in unserer Gesellschaft: Tiere sind Ware und Produktionsmittel, gerade in der Landwirtschaft, Tiere sind Meßinstrumente und Spaßobjekte im Zirkus. Diese Funktionsweisen und diese Instrumentalisierung der Tiere nehmen wir als Stein des Anstoßes, nicht allein die Tierversuche.

SB: „Für die Befreiung von Mensch und Tier“ ist eine auf dieser Demo vielfach vertretene Forderung. Was ist eure Position zur Aufhebung von Gewaltverhältnissen, unter denen nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen zu leiden haben?

TK: Also das ist eine Frage, die kann ich jetzt nur als Aktivist bei der Gruppe Tierbefreiung Hamburg beantworten. Tierbefreiung Hamburg ist an der LPT-Schließen Kampagne beteiligt, aber da auch noch andere Gruppen beteiligt sind, kann ich da natürlich nichts Allgemeingültiges antworten. Da würde jede Gruppe vermutlich zumindest in Einzelheiten andere Sichtweisen haben. Wir sehen uns als Teil einer internationalen Bewegung, einer Freiheitsbewegung, die nicht an der Spezies-Grenze aufhört, sondern sich auch gegen andere gesellschaftliche Mißstände richtet. Viele von uns engagieren sich bei sozialen Initiativen, sind aktiv gegen Faschismus und Rassismus et cetera, für uns ist das wichtig. Wir wollen immer klarmachen: Ja, wir haben dieses Partikularinteresse, aber wir machen den Kontext immer sichtbar.

Viele aus unserer Organisationsgruppe waren zum Beispiel an den Blockupy-Protesten in Frankfurt beteiligt, wo wir versuchten, unsere antikapitalistische Position zu formulieren und anderen linken Bewegungen näherzubringen. Der Aufmacher war: „Menschen, Tiere und Natur in der Krise“. Wir wollten deutlich machen, daß sich diese Themen gerade bei der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln ganz eng verknüpfen. Da geht es dann um Ernährungssouveränität, die erkämpft werden muß, da geht es gegen Argarindustriekonzerne, die natürlich für Menschen und für Tiere hochgradig destruktive Praktiken vollziehen.

Wir versuchen, uns als Teil der internationalen Linken erkennbar zu machen. Hierbei ist es wichtig, immer wieder kritisch auf die eigene Bewegung sowie auf unser Umfeld zu schauen. Es geht darum, nicht undifferenziert bei allem mitzulaufen, sondern zu schauen, wer eine hieb- und stichfeste kapitalismuskritische Position formuliert, die auch einen Anknüpfungspunkt für die Befreiung der Tiere und die Versöhnung, um mit Adorno zu sprechen, von Mensch und Natur oder Gesetz und Natur bietet. Das ist die Grundlage für Gemeinsamkeiten. Und wenn das der Fall ist, tun wir unser Bestes und wollen natürlich immer Seite an Seite mit Gleichgesinnten kämpfen, und ich denke einmal, daß das häufig der Fall ist.

SB: In der Linken kommt es auch zu regelrechten Feindseligkeiten gegenüber Tierbefreierinnen und Tierbefreiern. Wie geht ihr damit um?

TK: Die Frage ist ersteinmal: Wer ist die Linke? Die ist vielschichtig, und gegenseitige Kritik kann von Nutzen sein. Doch es gibt auch Kritik, die eher als Denunziation gemeint ist, und solche kam aus dem sogenannten antideutschen Lager. Die betrachten wir nicht als Linke, mit denen haben wir nichts zu tun und mit denen wollen wir auch nichts zu tun haben. Das ist für uns ähnlich, als wenn etwa Miersch und Maxeiner ihre Haßparolen gegen die Tierrechtsbewegung loslassen.

Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß auch in der Linken bei weitem nicht alles Gold ist, was glänzt. Einige linke Gruppen denken immer noch, die Tierrechtsbewegung besteht aus einem aufgebrachten Haufen moralisch empörter, dazu noch total bürgerlicher Leute, die keine Gesellschaftskritik formulieren können. Diese Sichtweise hat jedoch immer weniger Bestand, weil viele Akteure aus unserer Bewegung solche Vorurteile ausräumen können, so etwa diese Peter-Singer-Nähe oder der Holocaustvergleich, das ist Quatsch und völliger Unsinn. Das hat vielleicht zu Anfangszeiten der Bewegung in der Konsolidierungsphase eine Rolle gespielt. Doch es haben viele linke Bewegungen wie die Ökologiebewegung in ihren Anfangszeiten mit hochgradig kontroversen Fragen zu tun gehabt, die nach und nach geklärt und ausgeräumt werden mußten.

Mittlerweile gibt es einen relativ breiten Konsens mit anderen linken Gruppen, die uns als Teil der Linken akzeptieren. Richtig angefeindet werden wir, das muß ich leider sagen und das soll jetzt keine Hetze sein, aus dem antideutschen Lager. Das bereitet uns jedoch keine unüberwindlichen Probleme. Kritik ist nicht das Problem, sondern gerne gesehen. Bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt habe ich mich sehr über Diskussionen mit Leuten gefreut, auch kontroverse Diskussionen, die das Herzstück linker Politik sind: die Debatte, der Austausch, das kritische Abwägen.

Doch werden wir auch mit Ressentiments konfrontiert, bis hin zu offener Hetze, wie es bei Veranstaltungen im Vorfeld der einmal im Jahr stattfindenden Frankfurt-Pelz-frei-Demonstration der Fall war, wo selbsternannte Linke auf Vortragsveranstaltungen behaupteten, daß Veganer alle Faschisten sind. Da braucht man nicht einmal Tierrechte gut finden, um zu merken, daß diese Behauptungen hanebüchen sind. Dennoch müssen wir uns damit auseinandersetzen.

Ungleich größere Probleme allerdings bereitet uns die Industrie, die die Repressionsorgane des Staates hinter sich weiß. International gibt es derzeit diverse Fälle, in denen nicht nur Einzeltaten nach dem Motto „Auf frischer Tat ertappt“ kriminalisiert werden, sondern kollektiv Tatbestände benutzt werden, um Bewegungen zu diskreditieren und kleinzukriegen. Das ist in Österreich, England, Spanien und USA der Fall. Das ist das viel größere Problem, weil sich da gesellschaftliche und ökonomische Interessen gegen uns vereinen. Als Zwangsoptimist kann ich Repression so interpretieren, daß unsere Bewegung irgendwo schon an der richtigen Stelle ansetzt, und zwar am Kapital. Viele unserer Kampagnen richten sich gegen Unternehmen und Konzerne, ob Pelz-, Agrar- und Pharmaindustrie, das sind alles ökonomische Akteure, die auch zurückfeuern. Natürlich ist es schlimm, daß wir uns mit Repression konfrontiert sehen, was wir uns wiederum nicht gefallen lassen wollen. Zumindest wissen wir, daß unser Protest Wirkung zeigt. Das hat jetzt mit LPT weniger zu tun, aber es würde mich nicht wundern, wenn sie sich zur Wehr setzen wollen.

SB: Wie ist es um euer Verhältnis zu bürgerlichen Tierversuchsgegnern und den Tierschutzverbänden bestellt, habt ihr da Berührungsängste?

TK: Berührungsängste auf gar keinen Fall. Wir wollen alle mit unserer Position erreichen, die wir erreichen können. Die ist in erster Linie eine gegen Tierversuche, aber eingebettet in eine Kritik des Mensch-Tier-Verhältnisses allgemein. Das ist für uns wichtig, weil es auch um die Identität dieser Bewegung geht, die man auch nicht verlieren darf. Ich glaube eher, daß es von Seiten vieler Leute und Gruppen aus dem Tierschutzbereich Berührungsängste gibt.

Ich finde es wichtig, den Begriff Tierschutz zu differenzieren. Für uns bedeutet Tierschutz vor allem einen reformistischen Zugang zu der Frage der Gewalt. Das ist natürlich erst einmal ein Widerspruch zur Tierrechtsidee. Aber es ist für uns ein großer Unterschied, ob jemand institutionell Tierschutz betreibt oder einfach nur TierschützerIn ist. Letztgenannte wollen wir unbedingt erreichen und überzeugen, indem wir deutlich machen, es reicht nicht aus zu sagen, Tierversuche sind das Problem, während der sogenannte Body-Count, also die Menge an umgebrachten Tieren, vergleichsweise viel höher ist. Problematisch wird es, wo der Tierschutz, wie bei den großen Organisationen, institutionell in strategischen Entscheidungen und inhaltlichen Positionen verankert ist, die besagen, daß Tierausbeutung an sich nicht das Problem sei, sondern lediglich die Art und Weise, wie Tiere genutzt werden. Und wenn das wirklich die Politik ist, die eine solche Organisation vertritt, dann paßt das nicht zusammen.

Natürlich betrifft das nicht unbedingt einzelne TierschützerInnen und AktivistInnen. Wir haben viel Kontakt mit Leuten gerade auch im Zusammenhang mit Tierversuchen gehabt, die man diesem klassischen, auch bürgerlichen Tierschutzmilieu zuordnen würde. Die haben uns zugehört und uns auch zugestimmt, so daß zumindest eine Offenheit vorhanden ist, über die wir uns freuen. Natürlich ist dieser Diskurs, auch der kritische Diskurs innerhalb der Tierbewegungen, der einzige Weg, um eine progressive Entwicklung einzuleiten.

Die richtig großen Vereine haben seit Ewigkeiten eine klare Position, von der sie auch nicht abrücken wollen. In den ganzen Jahren hat es noch kein einziger progressiver Mensch geschafft, das von innen heraus zu verändern. Die machen dann vielleicht einmal einen veganen Kochkurs, aber entwickeln dann als eigenes Großprojekt irgendwelche Fleischzertifikate für artgerechtes Fleisch. Das widerspricht unseren Positionen natürlich komplett.

SB: Der aus Italien zur Demo angereiste Aktivist Lorenzo hat von dem Problem berichtet, daß sich dort rechte Gruppen des Tierschutzes und der Tierrechte bemächtigen. Findet hierzulande ähnliches statt?

TK: Nicht auf eine Art und Weise, die erfolgreich wäre. Es gab vereinzelte Versuche. Die sogenannten autonomen Nationalisten haben, wie ich finde, recht kläglich versucht, eigene Gruppen zu bilden. Eigentlich gab es nur eine, an die ich mich erinnere, die an dem Thema gearbeitet, aber nicht ansatzweise Fuß gefaßt hat. Dann gibt es Entwicklungen in der NPD, die nicht Tierrechte betreffen, sondern wo es darum geht, Naturschutz und Tierschutz für sich zu entdecken oder ökologischen Landbau zu betreiben. Die enttarnt man aufgrund des gesellschaftlichen Widerstands gegen rechts jedoch schnell als FaschistInnen. Es gab wenige Beispiele, an die ich mich erinnern kann, daß Menschen aus dem Nazi-Spektrum versucht haben, an Protesten teilzunehmen. Bei den regelmäßigen Tierrechtsdemos nie, wenn ich mich nicht täusche. Es gab ein oder zwei Fälle bei dieser „Wir haben es satt“-Demonstration in Berlin, die ohnehin ein Kessel Buntes war, zu dem jeder hinkam. Dort waren es bezeichnenderweise die TierrechtsaktivistInnen, die die Nazis aus der Demonstration vertrieben. Andere Strukturen auf der Demo wollten nicht unbedingt den Streit suchen, aber TierrechtlerInnen haben erklärt, das nicht zu akzeptieren.

Die Tierrechtsbewegung ist schon heterogen, aber was FaschistInnen anbelangt, da gilt No Pasaran, das ist vollkommen klar. Selbstkritisch muß ich sagen, daß im Binnenbereich der, ich sage mal, unpolitischen Tierrechtler zwischen Tierrechten und Tierschutz noch am ehesten die Gefahr einer Offenheit zum Rechtspopulismus bestände. Man muß aufpassen, daß zum Beispiel das muslimische und koschere Schächten nicht schlimmer als andere Schlachtmethoden dargestellt werden. Das wird ansonsten leicht einmal genutzt, um einen Buhmann zu kreieren. So ominöse Gruppen wie die Tierschutzpartei haben einmal einen rassistisch formulierten Aufruf gegen muslimische Schlachter verfaßt. Die eigentliche Gefahr für unsere Gesellschaft ist Rechtspopulismus, ist antimuslimischer Rassismus, der hoffähig ist, der in der CDU und SPD – Stichwort Sarrazin – zu finden ist. In bestimmten sogenannten linken Bewegungen ist antimuslimischer Rassismus salonfähig geworden, das finde ich viel interessanter, und da arbeiten wir natürlich gegen an. Das ist auch ein Grund, warum wir sagen, daß unsere politische Arbeit über die der reinen Tierthemen hinausgehen muß, weil wir nicht schweigen können, wenn Rassisten über den antimuslimischen Rassismus plötzlich wieder salonfähig werden.

SB: Habt ihr auch eine Theorie zur politischen Ökonomie dieser Inwertsetzung von Tieren oder der Zerstörung von Tieren als Wertschöpfungsprozeß?

TK: In der Agrarindustrie wird sehr deutlich, daß ein Aneignungsprozeß gegenüber der Natur stattfindet. Dort wird alles in Wert gesetzt, was sich irgendwie verwerten läßt. Da sind Tiere schlichtweg Produktionsmittel oder werden zur Ware gemacht. Bei Tierversuchen handelt es sich um eine Art Interims-Situation, weil Tiere zu Meßinstrumenten werden und das Töten der Tiere gar nicht im Mittelpunkt steht. Die Kapitalakkumulation findet nicht über das Töten der Tiere statt wie in der Agrarindustrie, sondern über die Produkte, die danach auf den Markt geworfen werden können und durch diese Tierversuche als sicher gelten. Diese Zertifizierung ist Voraussetzung dafür, bestimmte Produkte auf dem Markt handeln zu können.

Ich glaube, es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß zweierlei Machtstrukturen hinter Tierversuchen stecken. Zum einen nicht nur die Pharmaindustrie, sondern diese unglaubliche Verflechtung mit Sekundär- und Tertiärstrukturen der Industrie. Internationale Konzerne machen ihr Geschäft damit, dieser Tierversuchsindustrie zuzuliefern. Zum zweiten muß man auch sehen, daß neben den materiellen Widersprüchen auch symbolische Konflikte hervortreten. Es ist schon ein Unterschied, ob ich etwas gegen Tierversuche unternehme oder ob ich Verhältnisse zwischen Menschen thematisiere. Wenn ich etwas gegen Tierversuche tue, greife ich das gesamte Mensch-Tier-Verhältnis implizit an, und das betrifft meiner Ansicht nach ganz konkrete gesellschaftliche Machtverhältnisse. Wenn die Tierversuchsindustrie angegriffen wird, fürchten auch andere Bereiche der Wirtschaft um ihre Profite. So attackieren uns unsere Gegner gerne mit dem Argument, daß wir den Menschen die Haustiere wegnehmen wollen. Von den Tierhaltern in den Tiermastanlagen bis zur Pelz- und Lederindustrie wird dann an einem Strang gezogen.

SB: Tobias, vielen Dank für das Gespräch.

15. Juli 2013