Hauptsache für die Tiere?
http://www.tierbefreier.de/tierbefreiung/67/hauptsache_fuer_die_tiere.html
Hauptsache für die Tiere? Wie unkritisch und unpolitisch dürfen die Tierrechtsbewegung und ihre Repräsentierenden sein?
Was ist unter der „Hauptsache für die Tiere“-Einstellung zu verstehen? Inwiefern führt sie manche Tierrechtler – vor allem aber Tierschützer – dazu, selbst mit Neonazis offen zusammenzuarbeiten und ihnen zu Inhalten, Anerkennung und Verbreitung ihrer Ideologie zu verhelfen? Dürfen wir wirklich von allem anderen absehen und unkritisch wie auch unpolitisch „lediglich für die Tiere“ eingestellt sein? Und ist der Nutzen der Zusammenarbeit vielleicht gar nicht einmal größer als der verursachte Schaden?
Das Universelle Leben (UL) ist eine gesellschaftlich umstrittene Glaubensgemeinschaft. Ob durch die Publikationen von „Gottes Prophetin“, zu der unter anderen Jesus Christus spricht und durch sie das göttliche Gesetz und Gebote wie „bete und arbeite“ verkündet, ob durch die Berichte von Aussteigern und Sektenkritikern oder durch richterliche Urteile und einen 2002 erschienenen sehr inhaltsreichen Artikel: das UL erscheint nicht nur als eine Glaubensgemeinschaft, die viel für die Tiere tut und diese in ihrer Lehre mit Lebensrecht versieht, sondern erweckt auch den Eindruck, eine Menschen entpersönlichende Wirtschafts- und „Prozess-Sekte“ zu sein.
Stellungnahmen zum UL
Als Reaktion auf den langen Artikel von Hochhaus über das UL kamen damals mehrere Meinungstypen zu Wort, die genau so auch heute noch vertreten werden. Manche waren ohne jede weitere Prüfung (abzuwarten) direkt gegen das UL eingenommen und verurteilten dieses. Manche von diesen mögen alles aus dem Artikel geglaubt haben, andere mögen sich gesagt haben, dass das UL selbst dann schon nicht zu tolerieren wäre, wenn auch nur ein Drittel von den Vorwürfen zutreffe. Spätestens nachdem die VOICE aufgrund der Prozessflut durch das UL ihr Erscheinen einstellte, war für manche aus der Bewegung eine Zusammenarbeit mit dem UL nicht mehr denkbar. Andere verhielten sich neutral und meinten, sie wollten die (bis heute ausbleibende) offizielle inhaltliche Gegendarstellung vom UL abwarten, ehe sie ein Urteil fällen (eine offizielle UL-Stellungnahme vom 30.10.2002 bezieht sich vornehmlich darauf, dass sich das UL „für die Tiere“ einsetze, stellt jedoch kein explizites inhaltliches Eingehen auf die massiven Vorwürfe dar). Dies ist an sich nicht verkehrt, sondern sogar löblich, doch wie lange soll auf eine inhaltliche Erwiderung gewartet werden? Ab wann bedarf es der Konsequenzen? Wieder andere verschlossen sich jeglicher Kritik und begründeten ihre weitere und künftige Zusammenarbeit mit dem UL damit, dass das UL sich sehr verdienstvoll für die Tiere einsetze und andere Glaubensgemeinschaften und Kirchen noch viel inhumaner wären. Hauptsache für die Tiere.
Außenwahrnehmung der Tierrechtsbewegung
Ein großer Teil der Gesellschaft ist vielleicht taub und blind gegen die „Informationen“ der Tierschutz- und der Tierrechtsbewegung. Die große internationale Tierrechtsorganisation PeTA nutzt, um von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen zu werden, umstrittene Mittel, zum Beispiel Motive mit viel nackter Haut und den Einsatz von leicht bekleideten Frauen, groß inszenierte Holocaust-Vergleiche, Promi-Einsätze mit Leuten, die wenig später schon wieder Pelze tragen etc.. Über ihre provozierende Strategie erreicht PeTA, für die Medien interessant zu sein und zu bleiben – aber eben auch kontrovers. Andere Vereine versuchen, überwiegend über beständige und seriöse Aufklärungsarbeit das Thema Tierrechte publik zu machen und ins Gespräch zu bringen. Es dürfte unstrittig sein, dass der Einsatz für Tierrechte ein langfristiger ist und ein Auftritt entsprechend langfristig gestaltet werden muss. Während die öffentliche Aufmerksamkeit bezüglich des Anliegens, Tieren Grundrechte zu verleihen, noch relativ schwach ist, konzentriert sie sich jedoch schnell auf Fehler, die von der Tierrechtsbewegung gemacht werden. Es ist fraglich, ob jede Art, mediale Aufmerksamkeit zu erregen (zum Beispiel sexistisch oder über Skandale und Selbstwidersprüche), der Bewegung nutzt. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit diversen Gruppen. Was kann sich die – emanzipatorische? – Tierrechtsbewegung nun erlauben? Wie provozierend, unkritisch und unpolitisch darf die Tierrechtsbewegung repräsentiert werden, um es noch verantworten zu können? Verantworten vor der gemeinsamen, langfristig angelegten Bewegung, der man sich zugehörig fühlt und entsprechend auch verpflichtet fühlen sollte?
Schlimmer geht’s immer
Das eine wäre nun, sich nicht mit konkreten Vorwürfen auseinander zu setzen und sehr tolerant mit einer umstrittenen Glaubensgemeinschaft, mit der man zusammenarbeiten könnte und wegen eines vermeintlichen Nutzens „für die Tiere“ auch möchte, nicht als Thema aufkommen zu lassen. Denn – so könnte man meinen – es sind ja nur Menschen. Hier lässt sich das Beiseite-schieben vielleicht noch machen. Ohne Erwiderung und Gegenposition kein Urteil möglich. Und ohne Selbstwahrnehmung ebenso. Und die Leute können ja viel denken und schreiben, wenn es um neue – zumal konkurrierende –
Glaubensgemeinschaften geht. So kann man sich natürlich herausreden. Und es nutzt ja (anscheinend) den Tieren. „Für die Tiere“ sind manchen Tierschützern und Tierrechtlern so einige Mittel und verschlossene Augen recht.
Wie unfassbar konsequent-tolerant die „Hauptsache für die Tiere“-Einstellung jedoch sein kann, zeigte sich im Frühjahr dieses Jahres, als ein eindeutig rechtsextremistisches Magazin ein Interview mit einem namhaften Tierrechtler machte und die Fellbeißer Tierschutznachrichten dieses Interview mit Verweis auf dieses Magazin ebenfalls veröffentlichte. Trotz der Information darüber, dass es sich um einen Multiplikator, einen Verbreiter rechtsextremer Ideologien handle, dem man mit seinen strategischen Absichten (mehr dazu unten) zuspiele, wenn man auf seine Seite verlinkt.
»Eine soziale und emanzipatorische Bewegung, die sich mit dem Argument gegen die Diskriminierung von Tieren in unserer Gesellschaft einsetzt, dass wir (als Gesellschaft) die Diskriminierung als solche und auch bei Menschen ablehnen, kann nicht plötzlich mit explizit diskriminierenden, anti-emanzipatorischen und entpersönlichenden Gruppen und Menschen zusammenarbeiten oder sie auch nur als selbstwidersprüchliche Repräsentierende in ihrer Bewegung dulden.« |
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
Anfang März erschien im Fahnenträger, einem ausgesprochen rechtsextremen Medium, ein Interview mit dem Tierrechtsbuchautoren Helmut F. Kaplan unter dem (zufällig passenden?) Titel „Holocaust-Vergleich wird immer wichtiger“. Der Kaplan-Interviewer wird 2003 auf www.npd.de als „ein bewährter NPD-Aktivist“ bezeichnet, war eine Zeit lang Landesschatzmeister der NPD Rheinland-Pfalz und sogar als Bundeskassenprüfer gewählt.
Die NPD ist dafür bekannt, dass sie vor allem in ländlichen Gegenden im Osten Deutschlands (oftmals erfolgreicher als der Staat und alle anderen Gruppen) intensive Jugendarbeit betreibt. Mit einer effektiven Organisation und ansprechenden Themen – nicht zuletzt wegen einer eigenen Musik-, Werte- und insgesamt scheinbar intakten Subkultur – haben sie einen gewissen Reiz auf viele aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in ihrer Gegend orientierungs- und perspektivlose Jugendliche und Kinder. Sie sind bemüht, „national befreite Zonen“ einzurichten, in denen es nur noch Deutsche geben soll. Ihr langfristiges Ziel ist die erneute Aufhebung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in Deutschland und die Einrichtung eines autoritären Staates, in dem der einzelne Mensch der „Nation“ oder dem „Volke“ hinten angestellt ist. In ihren Werbespots fordern sie: „Streichung der Zuschüsse für jüdische Gemeinden“, „Streichung der Fördergelder für Migration und Integration“ und sogar die „Ausweisung aller kulturfremden Ausländer“. Wir lernen: „Sozial geht nur national“.
Neue Rechte
Heute haben wir es nicht mehr nur noch mit klar erkenn- und isolierbaren, gewalttätigen „Neonazis“ und „Rechtsextremen“ zu tun, sondern auch mit der „Neuen Rechten“, mit „Querfront“ und mit „nationalem Sozialismus“ bis hin zu einem fraglichen „National-anarchismus“. „Nationale Anarchisten“ (was es nicht geben kann) zum Beispiel versuchen, das Politikfeld „Anarchie“ mit faschistoiden Ideen zu besetzen. Hinter der Neuen Rechten, die vorgibt, sich um den kleinen deutschen Mann zu sorgen, steht zu gewissen Teilen weiterhin konservative Nazi-Ideologie, bloß anders verpackt: moderner, sozialer, gesellschaftskritischer, freiheitlicher. Anstelle des klassischen Rassismus steht nun der (völkische) Ethnopluralismus. Frankreich den Franzosen, Türkei den Türken, aber dann eben auch: Deutschland den Deutschen. „Überfremdung“ aus der jeweils betroffenen „nationalen“ Sicht wird als Übel angesehen. Die Völker sollen „ethnisch homogen“, das heißt: bezogen auf Herkunft und Kultur rein bleiben oder werden. Ein Glück für unpolitische Tierrechtler: Tiere kommen den Rechtsextremen zumindest „völkisch“ nicht in die Quere.
Querfront-Strategie
Der Begriff „Querfront“ wird heute dafür verwendet, wenn rechtsextreme Gruppen mit linksextremen (bei denen ein breiter Kampf gegen das herrschende und verhasste politische System Vorrang vor den Gegensätzen in den Positionen hätte) entweder direkt zusammenarbeiten, oder versuchen, durch ähnliche Inhalte und ähnliches Erscheinen bei diesen anzudocken, um sie zu unterwandern, oder wenn sie ihr rechtsextremes mit linksextremem Gedankengut verbinden.
Rechtsextreme wollen mit dem konstruierten Begriff der „Nation“ als Ausgangspunkt und mit einer zum Beispiel antikapitalistischen Positionierung auch bei eher Linkseingestellten Gehör und Anhänger finden. Mit der „Querfront-Strategie“ versuchen Rechtsextreme heute, Brücken zur unzufriedenen, aber (noch) nicht rechtsideologischen Jugend und Gesellschaft aufzubauen und sich selbst (allmählich dann auch mit ihrer erweiterten Ideologie) ins Gespräch zu bringen. Sie dringen damit in soziale Milieus ein, die ihnen vorher verschlossen waren. Zugleich versuchen sie, sich mit tolerierbaren Themen und Positionen aus der Isolation in die Gesellschaft zu re-integrieren. Verstärkt im Osten Deutschlands schaffen sie es sogar, in sozialen Fragen breites Gehör zu finden und für Massen wählbar zu sein. In gewisser Hinsicht angepasstere Neonazis werden in unserer heutigen Zeit und Kultur gesellschaftsfähig. Während sie auf eigenen Demos eher lächerlich wirken, gehören sie plötzlich auf Friedens- und Sozialreform-Demos „dazu“. Diese Auftritte nutzen den Neonazis und schaden den jeweiligen Bewegungen, weil es innerhalb der Bewegungen zu Unruhen und Auseinandersetzungen kommt und sie nach außen hin mit Neonazis in Verbindung gebracht werden. Den Rechtsextremen selbst ist es gleich, welche sozialen Bewegungen sie für ihre Instrumentalisierungsabsichten verheizen. Für sie gibt es nur die eine Bewegung – ihre eigene.
Autonome Nationalisten
Autonome Nationalisten kopieren den Stil der linken Autonomen und teilweise auch deren Einstellung. Die einzelne Person soll nicht an ewig gestrige stilistische Vorgaben gebunden sein und wie bisher deutlich als Neonazi zu erkennen sein. Vielmehr gilt es, wesentlich moderner und individueller aufzutreten, um für weite Teile der Jugend attraktiver zu werden und die Gesellschaft besser unterwandern zu können. Doch sie sind nicht „weltoffener“, auch sie glorifizieren den historischen Nationalsozialismus. Die Autonomen Nationalisten, die an den linken Flügel der NSDAP anknüpfen und einen dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus propagieren (einen nationalen Sozialismus), sind weiterhin nationalistisch für einen diskriminierenden autoritären Staat. Selbst ihre innere Struktur entspricht (einem Aussteiger zufolge) nicht dem eigentlich „Autonomen“: Es gibt auch hier einen autoritären Führungskader, der den Rest als Masse dirigiert12. Mit ihrer Erlebnisorientierung und Gewaltbereitschaft konkurrieren sie mittlerweile mit den Skinheads. Und viele von ihnen sind zugleich NPD-Parteiangehörige.
Ein politisches Selbstverständnis der Querfront-Neonazis in einem Demonstrationsaufruf von 2004 lautet: “Wir glauben nicht daran, dass das kapitalistische System reformiert oder verbessert werden kann – das vorherrschende System IST der Fehler und muss durch eine neue, freie, gerechte und NATIONAL UND SOZIALE Gesellschaftsform ersetzt werden.“
AG Tierrecht
Eine „AG Tierrecht“ der Autonomen Nationalisten setzte sich mit teils zusammenge- klauten Texten auf ihrer Webseite für Tierrechte ein. Die Verbindung zur Tierrechtsbewegung ist hergestellt. Auf Demonstrationen der Tierrechtsbewegung erschienen wiederholt rechtsextreme Aktivisten, die innerhalb des (bis dahin linksextremen) schwarzen Blocks kaum von linksextremen zu unterscheiden waren. Sollen wir ihnen nun die Hand reichen –
für den gemeinsamen Kampf um Tierrechte? Ihnen Interviews geben, sie zu Podiumsdiskussionen einladen, sie auf Demonstrationen und in der Bewegung begrüßen? Sollten wir uns freuen, dass die Nazis nun „vernünftig“ werden?
Hauptsache für die Tiere?
Ein Tierrechtler fragte beim Fellbeißer nach, weshalb sie auf ihrer Seite ein Interview aus einem Nazimagazin (inklusive dem Link zu der Neonazi-Seite) veröffentlichten. Dadurch würde die Verbreitungsstrategie der Rechtsextremen unterstützt. Ob sie nicht wenigstens den Link entfernen könnten. Die Frage wurde an Kaplan weitergereicht, so dass von Kaplan gleich noch eine zweite Antwort mitgeliefert wurde. Der Fellbeißer-Herausgeber Volker Wöhl schrieb, dass es relativ bedeutungslos sei, wer Kaplans Tierrechtsbeiträge veröffentlichen würde. Wichtig sei allein, dass seine Beiträge einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht würden, und zwar von wem und wo auch immer. Kaplan schrieb darüber hinaus: „Was wäre falsch daran, wenn jemand durch dieses Interview Veganer oder Tierrechtler oder Vegetarier würde?“ und „Ist es nicht vielleicht besonders begrüßenswert, wenn sich ‚problematische’ Gruppierungen mit vernünftigen, rationalen, ethischen Ideen befassen?“
Als erster Nutzen ergäbe sich: Neonazis könnten durch ihn Vegetarier etc. werden. Als zweiter, dass die Neonazis vielleicht die Kurve zum Ethischen kriegen könnten. Schön, sollen sie, aber dürfen sich Repräsentierende der Tierrechtsbewegung dafür öffentlich und aktiv engagieren? Dann könnten wir ja auch Nazis zum gemeinsamen öffentlichen Brunch und Gespräch einladen. Und manche Tierschützerin mag sich denken: Warum sie dann nicht auch langfristig wieder in die Regierung wählen, wenn „bezüglich der Tiere“ (was die Hauptsache ist) deren Ansichten und Ziele den unseren entsprechen und die eigene Bewegung Brücken zu ihnen aufbaut oder zumindest zulässt. Sollen wir uns ihnen naiv (oder dankbar?) übergeben, wenn sie selbst schon von sich behaupten: „Wir setzen uns dafür ein, alle relevanten Teile der Jugend und der Gesellschaft zu unterwandern und für unsere Zwecke zu instrumentalisieren“, so die Autonomen Nationalisten Wuppertal/Mettmann? Vielleicht wäre es ja leichter, Tierrechte zu etablieren, wenn es (wieder) nur noch eine Partei gäbe. Über das demokratische System ist es ein langwieriger oder gar aussichtsloser Weg zu Tierrechten.
Die „Hauptsache für die Tiere“-Fraktion ist extrem tolerant, pragmatisch, relativ unreflektierend und weitgehend unpolitisch (eine Ausnahme macht als „single issue“ die Tierrechtsfrage aus, dazu unten mehr). Sofern etwas „den Tieren“ und „den Tierrechten“ unmittelbar nutzt, ist es gut. Darüber hinaus scheint von der Fraktion gelegentlich auch pauschal und inflationär alles zu „Tierrechten“ erklärt zu werden, was „gut für die Tiere“ ist. Denn wer möchte definieren, was Tierrechte sind? Vielleicht eignet sich ja der kleinste gemeinsame Nenner dazu, sprich: eine derart breite und tolerante Definition, dass sich viele, die sich „für die Tiere“ einsetzen, darin wiederfinden können. Und zwar von Kritik verschont, sofern sie – abgesehen von Lederschuhen etc. – weitgehend vegetarisch leben.
Ist eine breite, extrem tolerante Bewegung mit einer inflationären Definition von Tierrechten wirklich das, was der Bewegung am förderlichsten ist? Sind Aktivisten und Theoretikerinnen der Bewegung, die sich gegen so eine Verwässerung und uneingeschränkte Kooperation wehren, tatsächlich „irrationale Profilneurotiker“, wie manche der Fraktion meinen?
Befreiung von Mensch und Tier
Vielleicht hat die Tierrechtsbewegung doch natürliche Grenzen der Toleranz, an denen sich ausmachen lässt, ob etwas tierrechterisch und der Tierrechtsbewegung zuzuschreiben ist.
Zwei zentrale Punkte der Tierrechtsbewegung sind, dass Menschen ebenfalls Tiere sind und dass Tieren Respekt gebührt. Somit ergibt sich – als bewusstseinsfähigen Wesen – auch Menschen gegenüber das Achtungsgebot: Du sollst (alle) Menschen achten, das heißt, sie als Rechteinhaber respektieren und sie in ihrem natürlichen Wert, der sich zu allererst aus ihrer Empfindungsfähigkeit ergibt, anerkennen und nicht willkürlich diskriminieren und schlechter stellen als andere. Diskriminierungen von empfindungsfähigen Wesen werden in der Tierrechtsbewegung verurteilt und zurückgewiesen. Der zentrale Begriff „Speziesismus“ wurde von Richard Ryder in Anlehnung an die beiden Diskriminierungsformen Rassismus und Sexismus und in Abgrenzung zur Diskriminierung aufgrund der Spezies entwickelt. Speziesismus und Tierrechte lassen sich nicht von Rassismus und dem Schutz der Menschen vor Diskriminierung loslösen. Den Gleichheitsgrundsatz anzuerkennen und folglich Diskriminierung abzulehnen, muss sich notwendig sowohl auf nicht-menschliche, als auch auf menschliche Tiere beziehen.
Für jene, denen nach diesem Absatz noch nicht klar ist, was sich daraus ergibt: Eine soziale und emanzipatorische Bewegung, die sich mit dem Argument gegen die Diskriminierung von Tieren in unserer Gesellschaft einsetzt, dass wir (als Gesellschaft) die Diskriminierung als solche und auch bei Menschen ablehnen, kann nicht plötzlich mit explizit diskriminierenden, anti-emanzipatorischen und entpersönlichenden Gruppen und Menschen zusammenarbeiten oder sie auch nur als selbstwidersprüchliche Repräsentierende in ihrer Bewegung dulden.
Integration von Nazis?
Ein wichtiger Punkt ist der Brückenschlag, der Schulterschluss von Repräsentierenden der Tierrechtsbewegung mit Repräsentierenden der rechtsextremen Bewegung. Es ist nicht lediglich so, dass der Fahnenträger von sich aus das Tierrechtsgedankengut von Kaplan verbreitet. Sondern Dr. Helmut F. Kaplan, laut Interview „wohl der bekannteste Vordenker und Verfechter der Tierrechtsethik im deutschsprachigen Raum“, hat sich mit einem bekannten und expliziten rechtsextremen Medium und einem NPD-Funktionär als Interviewer auf jenes Interview eingelassen, das nicht nur in deren rechtsextremen Kreisen veröffentlicht wird, sondern auch völlig schamlos unkommentiert in Tierschutz- und Tierrechtskreisen. Das Nazi-Medium wird zum einen in neuen Kreisen bekannt gemacht, zum anderen anerkannt. Ich kannte den Fahnenträger zuvor noch nicht. Aber wunderbar, ich komme über das Interview beim Fellbeißer bequem mit einem Klick auf deren Seite. Sie setzen sich gegen Kapitalismus, Unterdrückung und Ausbeutung ein. Sieh an, die Nationalen sind ebenfalls sozialistisch und sozial. Mal sehen, was sie noch an vernünftigen Werten haben. Vielleicht kann uns ja nur die Rechte davor schützen, in Zukunft um fünf Uhr morgens von einem zum Gebet aufrufenden Muezzin geweckt zu werden? Vielleicht haben sie ja Recht mit ihrer Angst um die „Überfremdung“ unserer Gesellschaft? Oder bezüglich des Zinssystems? Oder mit der Forderung
„Todesstrafe für Kinderschänder!“?
Es macht definitiv einen Unterschied aus, ob Neonazis mit oder ohne Unterstützung von Repräsentierenden der Tierrechtsbewegung etwas Tierrechtlerisches veröffentlichen und vertreten. Sofern sie nicht behaupten, Teil der deutschsprachigen Tierrechtsbewegung zu sein, sollen sie von mir aus alles Mögliche vertreten. Es interessiert mich nicht. Ich setze mich ganz einfach nicht mit ihnen auseinander, da sie bisher in der Gesellschaft noch gut isoliert sind. Was gut ist, und was ich bestimmt nicht ändern möchte. Anders verhält es sich, wenn Neonazis sich als Angehörige der – meiner! – Tierrechtsbewegung verstehen und von Teilen der Bewegung aktiv (zum Beispiel mittels Interviews) integriert werden.
Es ließe sich natürlich behaupten, alle Menschen in der Tierrechtsbewegung seien intelligent genug, um die Positionen und Werte unterschiedlich zu bewerten und das Einzelne (Tierrechtsforderung) vom Ganzen (rechtsextremistische Ideologie) zu trennen. Schließlich sei man ja auch intelligent genug, um nicht mehr Fleischesser zu sein, und befände sich bereits auf einer hohen ethischen Stufe. Das ist falsch. Tierschützer und mehr noch Tierrechtlerinnen sind vielleicht sogar anfälliger für extreme Ideologien als andere Menschen: Sie sind mit der herrschenden, tierausbeutenden Gesellschaftsordnung, die Tieren die Individualrechte nicht zuspricht, unzufrieden und könnten sich für alternative Gesellschaftssysteme begeistern.
Aber selbst wenn die Bewegung die rechtsextremen Ideologien nicht annähme: Die Außenwahrnehmung, die Öffentlichkeit, würde nicht so klar zwischen menschenfeindlichen Tierrechtlern und der nicht-rechtsextremen Tierrechtsbewegung unterscheiden. Sie sieht zwei Bewegungen im Schulterschluss.
Antisemitismus und Tiere
Das erste deutsche Tierschutzgesetz hatten die Nazis erstellt. Da im Nationalsozialismus – einer bei Rechtsextremen als positiv empfundenen Epoche – aus propagandistischen Gründen der Tierschutz und das Mitleid mit Tieren als „deutsch“ bezeichnet wurde und sich dieses Feld auch heute noch anbietet, um Menschen mit den eigenen Werten zu erreichen, wird dies heute wieder aufgegriffen.
Ein möglicher Einstieg für den rechtsextremen Tierschutz ist das Schächten. Dieses vollzögen „denkbar undeutsche“ Menschen, denen das Mitgefühl und moralische Werte angeblich fehlten: „die Juden“. Im NS-Propagandafilm „Jud Süss“ wird ein Kontrast zwischen der Tierliebe von Deutschen und der achtlosen Tötung durch Juden inszeniert und kommentiert.
Ein zweiter Ansatzpunkt ergibt sich durch die Möglichkeit, den Holocaust an den Millionen von Juden zu relativieren. Vielleicht waren die Nazis doch nicht so schlimm oder einzigartige Unmenschen, wenn es ein Verbrechen in unserer Kultur gibt, das noch schlimmer oder wenigstens vergleichbar schlimm ist? „Der Holocaust-Vergleich wird immer wichtiger“ äußert Kaplan ausgerechnet Neonazis gegenüber. Vielleicht waren die Verbrechen an den Juden ja bloß ein Ausrutscher, der sich in erster Linie vielleicht sogar nur gegen das Kapital und Zinssystem richten sollte und mit der Angst der damaligen Zeit vor der jüdischen Weltherrschaft erklären und entschuldigen ließe? Die Relativierung des Holocausts und die Bereitschaft zur Kooperation mancher Teile der Tierrechtsbewegung passt den Neonazis natürlich wunderbar ins Konzept.
Und die Tierrechtsbewegung darf nicht so tun, als gäbe es nicht bereits direkte Überschneidungen zwischen der rechtsextremen Szene und der Tierrechtsbewegung. In der Schweiz erklärt der Präsident eines Tierschutzvereins, der wegen mehrfacher Diskriminierung verurteilt wurde, „dass aus dem Schächtproblem ein Judenproblem geworden ist“, weil sich liberale Juden nicht gemeinsam mit ihm gegen das Schächten einsetzten. In den 70er Jahren war er Mitglied bei einer Partei namens „Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat“. Vereinzelt gab es wohl auch Kontakte zu Neonazis und Holocaustleugnern.
Manche Aussagen von Jesus Christus höchstpersönlich in Das ist Mein Wort (dem Buch, das als UL-Bibel gilt und in dem Jesus zu uns spricht) zu Juden, ihrer Kollektivschuld und ihrem Volkskarma bis hin zum Holocaust, für das sie nach dem Prinzip der Selbstverschuldung selbst verantwortlich wären), sowie in der mittlerweile eingestellten UL-Zeitschrift Christusstaat können als antisemitisch angesehen werden.
Grundsätzlich muss sich die Tierrechtsbewegung auch gegen Vorwürfe des Ökofaschismus behaupten.
Grenzenlose Toleranz?
Kaplan im Interview: „Außerdem grassiert in der Tierrechtsbewegung eine vollkommen irrationale bzw. sachlich absurde Intoleranz: Leute werden ausgegrenzt, weil sie beispielsweise zu links oder zu rechts oder zu religiös oder zu kapitalismusfreundlich usw. sind. Bei diesen Selbstzerfleischungstendenzen hat die Fleischindustrie natürlich leichtes Spiel.“
Ab wann dürfen oder sollen wir wegen etwas erschüttert und gegen jemanden intolerant sein? Sind Menschen und Gruppen, die sich der Bewegung zugehörig fühlen, grundsätzlich tabu gegen Kritik, sofern sie mindestens den Vegetarismus propagieren? Kaplan selbst kann auch mal drastische Worte finden, wenn eine deutsche Philosophin und Tierethikerin Fisch isst oder ein Schweizer Tierschützer Bioschweine züchtet oder ein österreichischer Prominenter mit seinem Gnadenhof nicht das Vegetarische propagiert. Doch das sind alles Punkte, die den Fleischkonsum betreffen. Soll dies die wesentliche Ebene sein, auf der Kritik angemessen ist?
Vermeintlicher Nutzen oder Abgrenzung und Verantwortung?
Unabhängig davon, ob es tolerierbar ist, jemanden aus der eigenen Bewegung auszugrenzen, stellt sich noch eine weitere Frage: die des Nutzens für die Bewegung. Ist es wirklich von Nutzen für die Tierrechtsbewegung, wenn sie durch einen Schulterschluss mit Neo-
nazis, „Ökofaschisten“, Sekten, Esoterikern, Sexisten etc. von der Öffentlichkeit mit diesen zusammengeworfen wird? Ist es von Nutzen, wenn Nazis durch namhafte Repräsentierende der Bewegung aufgewertet und integriert werden und den Schulterschluss demonstrieren? Wollen wir wirklich, dass Nazis in der Tierrechtsbewegung Fuß fassen, auf unsere Demonstrationen kommen und ihre Fahnen schwenken?
Wäre es für die Tierrechtsbewegung wünschenswert, wenn NPD-Mitglieder vor den Schulen nicht nur ihre rechtsextremen Musik-CDs, sondern auch Tierrechtsflyer (womöglich noch von Kaplan geschrieben) mit NPD-Logo verteilen würden? Sollen wir mit der rechtsextremen Szene gemeinsam vor jüdischen Schlachthöfen demonstrieren, weil wir so viel mehr Demonstranten wären und viel mehr Menschen erreichten und daher noch viel mehr „für die Tiere“ gewinnen könnten? Sind wir „Profilneurotiker“ und „ein Sammelbecken von Idioten“ (so Kaplan im Interview), wenn wir nicht mit Neonazis oder anderen gesellschaftlich stark umstrittenen Gruppierungen gemeinsam demonstrieren und von der Außenwelt als eine gemeinsame Bewegung mit ihnen wahrgenommen werden wollen? Und wenn wir fordern, dass ein Tierschutz-Newsletter nicht Naziseiten verlinken und damit deren Bekanntheit und Anerkennung steigern sollte? Nutzt es den Tieren wirklich, wenn wir uns nach allen Seiten hin öffnen und jede Hand annehmen? Soll als nächstes mit Kindervergewaltigern zusammengearbeitet werden, sofern sie sich gegen sexuellen Tiermissbrauch positionieren? Dieser Gedanke ist vielleicht etwas krass und nicht ganz passend, aber viel fehlt da nicht mehr. Und mir fällt keine andere Steigerung zur Zusammenarbeit mit Neonazis wie der NPD und dem Fahnenträger ein. Wo hört die Toleranz auf? Ab wo soll man in der Tierrechtsbewegung politisch werden und die „Hauptsache für die Tiere“-Einstellung in die Tonne schmeißen? Ab wo trägt das einzelne Mitglied einer Bewegung, das diese mit einer Aktion nach außen hin repräsentiert, Verantwortung für die Repräsentation der Gesamtbewegung?
„Single Issue“-Ansatz
Ich denke, dass sich weite Teile der Tierrechtsbewegung politisch nicht (!) anders einbringen müssen als „für die Tiere“. Ich glaube, dass sich der Tierrechtsgedanke auch als „single issue“, also als Einzelfall, behandeln lässt, und dass dies oftmals auch strategisch sinnvoll ist (Stichworte: Abgrenzung, Konzentration, einfache Theorie)18. Zusätzlich (!) lässt sich der Tierrechtsansatz aber auch strukturell auf die Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen ausweiten (Stichworte: Unity of Oppression, Intersektionalität19), und es ist extrem wichtig, dass dies von vielen Seiten der Tierbefreiungsbewegung auch getan wird. Was für den politischen Aktivismus gilt (die Einzelfallbehandlung), gilt jedoch nicht für die politische Einstellung und auch nicht für das kritische, politische Bewusstsein, zumindest nicht bei repräsentierenden und somit verantwortlichen Mitgliedern einer Bewegung – eigentlich allen, die sich öffentlich äußern, ob durch Transparente und Symbole auf Demonstrationen oder durch Tierrechtsbücher. Diese Einzelnen und die Tierrechtsbewegung als Ganze müssen sich zwar nicht aktiv für die Befreiung von Menschen aus Diskriminierungs- und Herrschaftsverhältnissen einsetzen (da dies nicht ihr Aufgabenfeld ist). Aus einer Verpflichtung der Bewegung gegenüber müssen politische Fehler jedoch vermieden werden. Wir stehen als soziale Bewegung im Fokus einer kritischen Gesellschaft. Daher dürfen wir auch manchen Fragen, die über das Mensch-Tier-Verhältnis hinausgehen, nicht gleichgültig und grenzenlos tolerant gegenüberstehen. Zur Fehlervermeidung ist ein politisches, kritisches Grundbewusstsein absolut erforderlich.
Doch auch wer „lediglich für die Tiere“ eingestellt ist und sich wünscht, dass die Bewegung „ausschließlich für die Tiere“ aktiv wird, tut im eigenen Interesse gut daran, Fehler zu vermeiden. Denn machen gerade namhafte Repräsentierende oder Gruppen oder eine gewisse Masse / Fraktion der Tierrechtsbewegung politische Fehler, werden sie notwendig selbst zum Problem, da sie der Bewegung schaden. Andere (politischere) Teile der Bewegung müssen nun ihre Energie aufwenden, um zum Schutze und im Sinne der Bewegung die Fehler wieder zu bereinigen. Zusätzlich erwecken diese Menschen und Gruppen den Eindruck, dass die Tier-Frage nicht losgelöst als „single issue“ behandelt werden kann oder soll. Das heißt, sie stärken gerade jene, die für die gesamte Bewegung fordern, viel politischer (auch aktiv) zu werden, zum Beispiel gegen den Kapitalismus.
Abschluss
Ich bin der Meinung, dass klar unterschieden werden muss zwischen persönlichen politischen Ansichten, die man vielleicht teilen kann (jedenfalls aber nicht muss), und gesellschaftlich Gebotenem, gegen das man nicht einfach verstoßen darf. Es darf für Angehörige der Tierrechtsbewegung keinen Zwang dafür geben, den Staat, die hiesige Form der Demokratie, den Liberalismus, das Privateigentum oder die Rechtsordnung als solche abzulehnen.Manche werden im Gegenteil gute Gründe dafür haben, eben diese zu verteidigen. Und es ist ganz klar, dass die Bewegung davon profitiert, wenn sie nicht homogenisiert und gleichgeschaltet ist, sondern eine gesellschaftliche Vielfalt einschließt. Mit Neonazis zu kooperieren und ihnen dadurch zu Inhalten, Integration, Inklusion und Unterwanderungsmöglichkeiten zu verhelfen, ist innerhalb sozialer Bewegungen jedoch untragbar und muss zu internen Auseinandersetzungen und so nervig ausführlichen Artikeln wie diesem führen.
Zur Frage der Zusammenarbeit mit und Toleranz von diversen fraglichen Gruppen hoffe ich, bei unpolitischeren Menschen in der Tierrechtsbewegung ein Bewusstsein für die Zusammenhänge und die Verantwortung von Repräsentierenden angeregt zu haben. Eine Kernaussage sehe ich als sehr wichtig für die Gesamtbewegung an: Selbst die Einstellung „Hauptsache für die Tiere“ steht dem entgegen, sich mit allen Gruppierungen einzulassen. Willst Du „den Tieren“ helfen, kooperiere nicht mit allen Seiten der Gesellschaft, sondern entwickle zumindest ein kritisches und politisches Grundbewusstsein für das, was einfach nicht mehr zu tolerieren ist.
Emil Franzinelli